Sonntag, 27. Februar 2011

Egon Klebe, Zeitungsfotograf

Der Fotograf Egon Klebe, fotografiert von einem 
                       unbekannten Fotografen                © Katalog
Wer etwas über den Fotografen Egon Klebe sagen will, muss Hinweise auf die Eigenart des Hamburger Stadtteils Bergedorf am Lauf des Flusses Bille vorausschicken. So knapp wie möglich: In Hamburg genießen die Stadtteile Altona, Harburg, Wandsbek und Bergedorf den Ruf, eigenartiger zu sein als etwa Harvestehude oder Barmbek, wobei Harvestehude eher die angestammte feinere Hamburger Art verkörpert und Barmbek die ebenfalls genetisch bedingte eher schlichtere. Der Grund für die Besonderheiten Altonas, Harburgs, Wandsbeks und Bergedorfs ist ihr verspäteter Beitritt zu Groß-Hamburg, den die Nazis 1937 vollzogen. Bis dahin war Bergedorf ein hamburgisches Gemeinwesen außerhalb der hamburgischen Grenzen gewesen, eine Art Kolonie. Am eigenartigsten aber war die Vorgeschichte:  Sie begann nach üblichem dynastischen Gerangel diverser Fürsten um Besitzansprüche damit, dass sich Rabauken aus dem Stamm der Herzöge von Sachsen-Lauenburg in Bergedorf auf die Lauer legten und vorüberziehende Hamburger und Lübecker Kaufleute drangsalierten und ausplünderten. Die Hanseaten buchten die Verluste eine Weile als politische Unkosten ab, dann schlugen sie zurück, besiegten anno 1420 die Wegelagerer von Geblüt und unterwarfen Bergedorf einer beiderstädtischen Verwaltung. Nun regierten hamburgische und lübische Beamte im Wechsel nach jeweils vier oder sechs Jahren Bergedorf. Wirtschaftlich klug war dies nicht: Die einen Besatzer sollten die Früchte der Arbeit der anderen ernten oder umgekehrt, was sich auf die Dauer mit kaufmännischem Geschäftssinn nicht vereinbaren ließ. Trotzdem kauften die Hamburger den Lübeckern deren lästige Ansprüche erst 1867 für 200.000 preußische Taler ab. Wie zuvor fristete die Kolonie Bergedorf auch weiterhin ein eher schlichtes als auskömmliches Dasein. Zur Hinterlassenschaft der wechselvollen Geschichte aber gehört das Bergedorfer Schloss – das einzige Schloss, das heute noch auf Hamburger Boden steht und das nicht nur dem Stadtbild ungemein zuträglich ist, sondern auch eine wichtige Funktion hat, denn es beherbergt das Museum für bergedorfische Geschichte. An dessen Wänden hängen seit Monaten Fotografien. Sie zeigen, was Egon Klebe, geboren 1920 in Bergedorf, Fotograf der Bergedorfer Zeitung von 1954 an bis zu seinem Tod 1982, in Bergedorf und Umgebung vor die Kamera gekommen ist.
Kein Gesicht ohne Geschichte, kein Straßenzug, keine Fassade. Der Mann hat gelernt hinzusehen, er hat den Blick für sprechende Momente, und in seiner Dunkelkammer holt er aus seinen Aufnahmen heraus, was in ihnen steckt. Ein Amateur wird, learning by doing, zum Profi und reift zum Meister heran.
BZ-Reporter jn, Mai 1954 bis 
April 1957 foto: Klebe(?)
Für den Zulauf von Prominenz nach Bergedorf sorgt der Mäzen Kurt A. Körber mit seinem Bergedorfer Gesprächskreis. Klebe fotografiert demokratische Intellektuelle von Rang, die Körber so schätzt, zum Beispiel Eugen Kogon, Himmlers Häftling in Buchenwald mit der Nummer 9093, nun als Autor des Buchs über den SS-Staat berühmt, des besten Buches, das es zu jener Zeit über den Staatsterror gibt.  Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien, besichtigt  das neue Bergedorfer Bethesda-Krankenhaus. Klebe fotografiert den Kaiser. Axel Springer, vormals Volontär der Bergedorfer Zeitung, kauft den Verlag der Bergedorfer Zeitung und sucht unter den skeptischen Blicken der Seele der Redaktion, der Sekretärin Frau Martfeld, den Chefredakteur Karl Mührl auf. Klebe fotografiert den neuen Eigentümer. Der Theaterdirektor Friedrich Schütter (Junges Theater) zieht nach Boberg, Bezirk Bergedorf. Schütter war ehedem in Bergedorf HJ-Bannführer, aber er hat kapiert, was falsch war an der Naziherrschaft und was er selber falsch gemacht hat, und er sagt es. Klebe fotografiert den Altersgenossen. Niemand sieht ihm an, ob er weiß, wen er fotografiert und ob es ihn überhaupt interessiert, aber wenn er seine Bilder vorlegt, zeigen sie Leute, die aussehen, als kenne der Fotograf sie in- und auswendig.
Kindsrettung im Schlossgarben: Steht der Fotograf 
bis zum Kinn im Wasser?                                © Katalog
Leute, die Klebe kennt, Bergedorfer, prominente und weniger prominente, fotografiert er mit der gleichen undurchschaubaren Miene. Den Schützenkönig Miske mit Schützenkönigskette auf der Brust und umringt von einer fröhlichen Kinderschar. Den Bezirksamtsleiter Schaumann (SPD), in schlimmer Zeit Häftling im KZ Neuengamme, bei einer Amtshandlung in schon weit besserer Zeit. Den Schmied in der Schmiede bei der Arbeit an den Hufen eines Pferdes. Den Mann, der sich mit der flachen Hand gegen die Stirn schlägt, weil  er sein Auto gegen einen Baum gefahren hat. Klebe fotografiert und fotografiert und fotografiert, und seine Fotos zeigen die Bergedorfer Welt, wie sie ist – eine an vielen Ecken kleinbürgerliche, tüchtige Welt mit einem Villenviertel, in dem die originellsten Villen abgerissen werden, eine Welt, die mehr und mehr zur gut geschmierten Wohlstandswelt heranwächst..
Katalog: 127 S., 17,90 €
Fazit: Wenn die Bergedorfer Olaf Matthes, dem Direktor ihres Museums und Kurator der Klebe-Ausstellung, nicht die Türen einrennen und ihm nicht jeden zutreiben, der laufen und Treppen steigen kann, gern auch Nicht-Bergedorfer, dann liegt es an den Bergedorfern, nicht an Matthes, und der verdiente Erfolg unterbleibt in erster Linie zum Schaden des Publikums, speziell zum Schaden des Verhältnisses der Zeitgenossen zur Zeitgeschichte.