Sonntag, 24. April 2011

Ai Weiwei, Machthaber, Kollaborateure

Die Schuhe des Philosophen Kant
Die Sonntagszeitung widmet dem Empfinden von Chinesen, die Unbehagen am Westen spüren und sich –  so die freundliche Umschreibung – lieber auf die eigene Tradition besinnen, eine Zweidrittelseite. Überschrift: „Im Westen nichts Gutes...“ Für den weggesperrten Künstler Ai Weiwei und für den ebenfalls eingekerkerten Schriftsteller Liu Xiaobo, er nach quälender Ungewissheit mit einem Urteil auf elf Jahre Haft, fallen gerade einmal ein Dutzend Zeilen in gepflegt neutralem Ton ab (FAS, Nr.16 vom 24.04.2011, S.8). Offenkundig schwindet in den Medien das Interesse am Schicksal des Berserkers der modernen Skulptur in dem Augenblick, in dem Aufrufe anderer, seine Freilassung zu fordern, auf den Straßen Früchte tragen. Liu Xiaobo erwähnen sie ohnehin nur noch sporadisch.
Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan und darf sich zurücklehnen? Ai Weiwei, seit der Documenta 12 von 2007 weltberühmt, und Liu, der Friedensnobelpreisträger von 2010, werden es zu spüren bekommen. Die Machthaber im Reich der Mitte werden sich noch weniger genieren, mit ihren Gefangenen nach Belieben umzuspringen. Dem Westen bleibt neben dem dummen Gefühl, politisch wieder einmal den Kürzeren gezogen zu haben, die peinliche Erinnerung an die Sprüche der Kollaborateure des Staatsterrors bei sich zu Hause.
Zwecks Auffrischung kurzlebiger Gedächtnisse eine knappe Chronik jüngsten Versagens: Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle reist nach Peking. Er will im vom deutschen Architekten Meinhard von Gerkan umgebauten Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens die von den deutschen Museumsdirektoren Martin Roth (Dresden), Michael Eissenhauer (Berlin) und Klaus Schrenk (München) bestückte Ausstellung Kunst der Aufklärung eröffnen. Mit von der Partie ist eine Wirtschaftsdelegation, die sich auf gute Geschäfte mit dem Regime und seinen 1,4 Milliarden Untertanen freut. Das Regime, wie üblich auf der Hut, verweigert einem Begleiter des Ministers, dem Schriftsteller Tilman Spengler, das Einreisevisum. Der offenkundige Grund: Spengler kennt sich in China besser aus, als den Machthabern lieb ist. Jemand fragt während der Vernissage laut, warum der gelernte Sinologe abwesend sei. Mitglieder der deutschen Delegation reagieren mit Buhrufen. Nachträgliche Begründung: „Ohne China könnten wir die Phaëton-Produktion vergessen.“ VW-Reklame für den PKW der Oberklasse namens Phaëton: "Einzigartig wie ein Kunstwerk"... (Im griechischen Mythos heißt so der Sohn des Sonnengottes Helios; der junge Mann fährt das Himmelsgefährt seines Vaters zu Bruch und setzt auf diese Weise die Po-Ebene in Flammen.) Minister Westerwelle schweigt sich aus. Die Quittung bekommt er, kaum dass er im Flugzeug nach Hause Platz genommen hat: Die höflich geschonten Gastgeber lassen Ai Weiwei verschleppen. Bis heute weiß niemand, wo sie ihn hinter Gittern halten.
Flugblatt der Tate Modern
Die deutsche Politik reagiert, wenn überhaupt, auf diplomatischen Schleichpfaden. Die deutschen Kollaborateure klopfen Sprüche. Der Architekt von Gerkan behauptet schlankweg, noch nie habe es in China so viel Freiheit gegeben wie heutzutage, und er beschimpft Ai als Popkünstler, der absichtlich provoziere. Der Ausstellungsmacher Martin Roth beeilt sich ins selbe Horn zu stoßen: „Niemand kann doch im Ernst meinen, man könne den Chinesen lauthals unseren Wertekanon diktieren, noch dazu im Nationalmuseum.“ Wie Gerkan nennt er Ai einen Popstar, der „ständig draufhaut“. Es gebe hunderte Künstler wie Ai. Sie seien nur nicht so prominent. . Im übrigen sei die böse Presse schuld. Sie schreibe mehr über Menschenrechtsfragen als über Roths Ausstellung: Und: „Fast niemand hat nach Kant gefragt...“
Kant? Wieso Kant? Die Erklärung ist ein Witz: Martin Roth hat aus der Rüstkammer der sächsischen Könige zu Dresden die Schuhe des Philosophen Immanuel Kant in die Pekinger Aufklärungs-Schau mitgebracht. Beim Anblick des Auslaufmodells von Schnallenschuhen, schon flach, wie die Empiremode es erforderte“, sollen sich nun die Chinesen veranlasst sehen, von der Fußbekleidung des Philosophen auf dessen Kopf, von diesem auf die Aufklärung und endlich von ihr auf den Anspruch des Menschen auf Freiheit schließen.
Wahrlich eine hochpolitische Lektion!
Sonst aber scheint Roth der Meinung zu sein, dass sich die Aufregung schon legen werde. Heute war er zu Gast bei meiner Kollegin Sabine Küchler in den Zwischentönen des Deutschlandfunks. Ich habe die Sendung leider verpasst, aber es ging wohl in der Hauptsache um den glücklichen Aufstieg des Kulturwissenschaftlers Roth zum Vorreiter der Museumskultur hierzulande und um seinen neuen Job. Denn nach zehn erfolgreichen Jahren als Generalintendant der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wechselt er im September ins Londoner Victoria and Albert Museum. Wäre ihm Peking nicht passiert, gehörte es sich, ihm Glück zu wünschen.
Peking aber ist ihm passiert, und an der Themse könnte er eine ärgerliche Überraschung erleben: Dort hat Chris Dercon, der Hausherr der Tate Modern, ein großes Plakat mit der Aufschrift Release Ai Weiwei an seine Fassade gehängt und Flugblätter verteilt, die mit großem Erfolg zur Unterschrift unter die Forderung Free Ai Weiwei auffordern. Wenn Ai bis dahin nicht auf freiem Fuß ist, könnte Dercon auch noch im  Herbst die Trommel für die Menschenrechte rühren.
So oder so wäre interessant, dabei zu sein, wenn Roth seinem Kollegen Dercon den Antrittsbesuch macht.
Die Schrift an der Tate Gallery of Modern Art      Fotos(03): ZDF/jn

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen