Sonntag, 3. April 2011

Auf dem Galgenberg

             Die Festung   Luftbild des Bundeskriminalamts Wiesbaden                      
Polizei ist Glaubenssache. Entweder wir glauben ihr, dass sie nichts im Sinn hat, als das kriminelle Böse aufzuspüren und Straftäter der Justiz zuzuführen, oder wir halten es für klüger, uns ein gewisses Misstrauen zu bewahren, weil hinter den verschlossenen Türen von Polizeistuben trotz beispielhaft humaner Strafprozessordnung und ebensolchen Polizeigesetzen allzu leicht Dinge geschehen, die weder uns Bürgern recht sein können noch tatsächlich rechtens sind. Dabei müssen wir nicht daran erinnern, dass die meisten Schutzleute mit dem Hakenkreuz am Tschako und mit ihnen die Kriminalisten mit dem Parteibonbon am Jackettaufschlag bereitwillig, wenn nicht begeistert dem NS-Terror gedient haben, woran gerade unter den Berliner Linden das Deutsche Historische Museum nachdrücklich erinnert; es genügt der Hinweis, dass die Verfolgung des Bösen – menschlich ganz begreiflich – in Polizistenseelen das Bedürfnis weckt, gewissermaßen stellvertretend für die Opfer dem Naturgesetz Wie du mir, so ich dir nachzugeben und Verbrechern mit deren Mitteln das Handwerk zu legen.
Der Journalist und Buchautor Michael Jürgs glaubt der Polizei – allerdings nicht unbesehen. Ganz im Gegenteil. Mit der freundlich geäußerten Drohung, wenn man ihm keine Auskünfte gebe, werde er den Dingen auf andere Weise auf den Grund kommen, hat sich der Verfasser von Biographien und selbstgeschaffenen Themen, unter anderem eines Buches über die bewegende Frage, warum wir hemmungslos verblöden, Zutritt zur Wiesbadener Festung verschafft. Zum Hauptquartier des BKA, des Bundeskriminalamtes, auf dem Geisberg. Pikanter Weise ist dieser Geisberg, wie Jürgs nicht zu erwähnen vergisst, ein ehemaliger Galgenhügel, auf dem Henker ihres Amtes walteten, die bekanntlich auch für die Folter zuständig waren.
Doch zum Buch: Wie der Journalist Jürgs es bei der Münchner Abendzeitung gelernt und dann beim Stern bis zur Perfektion trainiert hat, hat er seine Fragen gestellt, und schon auf Seite 44 teilt er den Befund mit, bei dem er bis zur letzten, der 351. Seite bleibt: Er trifft keinen Beamten, der Verdächtigung verdient hätte, sondern nur Fachleute, deren oberstes Gebot „die peinlich genaue Einhaltung der Regeln unseres Rechtsstaates“ ist.
Bertelsmann, München
351 S., 19,99 €
Sein Wort in Gottes Ohr, denkt der Leser und verfolgt interessiert, wie das Vertrauen heranwächst. Am meisten befördert es Horst Herold, der vor vier Jahrzehnten als BKA-Chef seine Leute mit modernster Kriminaltechnik für die Verbrechensbekämpfung der Zukunft ausgerüstet, ihnen gegen die Terroristen der Roten Armeefraktion die Erlaubnis zur Rasterfahndung verschafft und ihnen  eingebläut hat, dass sie mit den Methoden der Gegenseite nicht nur Schritt halten, sondern ihnen möglichst eine Nasenlänge voraus sein müssen. Herold hat vor allem der Rasterfahndung wegen, die vorsorglichen Verdacht gegen alle und jeden voraussetzt, heftige Kritik einstecken müssen. Neben anderen hat ihm der Innenminister der sozialliberalen Koalition Gerhart Baum das Leben sauer gemacht, und schließlich hat der Dienstherr den gerade einmal 57-jährigen, kerngesunden Mann bewogen, „aus gesundheitlichen Gründen“ seinen Abschied zu nehmen – mit der Folge, dass Herold seinen langen Lebensabend aus Gründen der persönlichen Sicherheit auf einem Kasernengelände verbringt.
Horst Herold grämt sich darüber bis heute, und Jürgs kann es ihm nachfühlen. Außerdem leuchtet ihm ein, dass immer gerissener werdende Methoden des Verbrechens auf internationalem Spielfeld immer raffiniertere Gegenmaßnahmen der Polizei erfordern. Er erläutert es gründlich und detailversessen, kommt aber nicht an der Schwierigkeit vorbei, dass die Polizeimethoden umso gefährlicher werden, je besser sie entwickelt sind  - muss doch nur jemand in der Festung auf den Gedanken kommen, die ihm zugestandenen Mittel zu missbrauchen. Dank der im Amte üblichen Geheimniskrämerei wird es so leicht keiner merken, und wenn es doch herauskommt, kann schwerer Schaden schon angerichtet sein.
Bei seinen Rezensenten hat Michel Jürgs diesmal wenig Gnade gefunden. Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, vermisst in der BKA-Reportage gar Inspiration. Der Experte Wiefelspütz übersieht, dass es schon einige Inspiration verlangt, in die Festung zu gehen und zu fragen, was da eigentlich los ist, und tatsächlich Antworten zu bekommen. Genau dies hat Michael Jürgs getan, und das Ergebnis ist ein sehr aufschlussreiches Buch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen